Industrie 4.0 – ein Begriff, um den man im Rahmen der Digitalisierung nicht mehr vorbeikommt. Doch was bedeutet Industrie 4.0? Obwohl der Begriff schon seit Längerem in aller Munde ist, fehlt es an klaren Definitionen. Im heutigen Beitrag möchten wir einen Überblick über die wichtigsten Technologien, Begriffe und Modelle geben.
Eine aktuelle Umfrage bei europäischen Fertigungsunternehmen zeigt, dass sich gut die Hälfte der Firmen schon einmal mit Industrie 4.0 beschäftigt hat. Die Umsetzung des Konzepts steckt noch in Kinderschuhen, doch erste Anwendungsfälle wie die vorausschauende Wartung von Anlagen auf Basis von Echtzeitdaten sind bereits im Einsatz. Höchste Zeit also sich das Phänomen etwas genauer anzuschauen.
Wieso die vierte industrielle (R)Evolution?
Das wir am Scheideweg eines neuen Paradigmas in der Produktion stehen, wird längst nicht mehr nur unter Experten diskutiert. Fast täglich lesen wir von neuen Möglichkeiten zur schnelleren, günstigeren oder individuelleren Produktion von Gütern. Doch blicken wir doch kurz in die Vergangenheit, um die Treiber der jeweiligen Dekaden aufzuzeigen:
- Mit der ersten industriellen Revolution bezeichnet man den Wandel der Agrargesellschaft hin zur Industriegesellschaft. Ende des 18. Jahrhunderts beobachtete man den Niedergang der traditionellen, durch Landwirtschaft und Handwerk geprägten Arbeitswelt.
- Zahlreiche neue technische Erfindungen öffneten den Weg zur industriellen Massenproduktion, welche wir als zweite industrielle Revolution bezeichnen. Sie veränderte die Lebenswelt der Menschen in ungeahnter Weise und führte sogar zu grossen sozialen Spannungen, welche noch lange ihre Schatten nach sich zogen. Wenn hier eine dieser Erfindungen stellvertretend genannt werden sollte, so wäre es sicherlich der Webstuhl.
- Durch die weitere Unterstützung der arbeitsteiligen Massenproduktion mit elektrischer Energie, mündete der Fortschritt der ersten und zweiten industriellen Revolution in den 1970er Jahren in die heutige dritte industrielle Revolution. Der weitere Einsatz von Elektronik und Informationstechnologie (IT) trieb die Automatisierung der Produktion weiter voran. Steuernde Aufgaben konnten zum Teil von Maschinen übernommen werden.
- Das Internet und kostengünstige Technologien der Informationstechnologie, ermöglichen heute den nächsten Schritt: Mit den Entwicklungen im Bereich des Internets der Dinge, Daten und Dienste bzw. dem Einzug dieser in die Produktion, befinden wir uns auf dem Weg in das vierte industrielle Zeitalter – oder eben: Industrie 4.0.
Wie im Blog „A hitch hikers guide to Technology – einige Buzz-words, denen sie bei der Digitalisierung begegnen werden“ bereits angetönt, handelt sich beim Begriff Industrie 4.0 primär um einen Sammelbegriff verschiedener Einzelthemen. Allen Themen liegen aber die Verzahnung von Produktion durch moderner Informations- bzw. Kommunikationstechnik zugrunde. Mithilfe einer Industrie 4.0 entstehen intelligente Wertschöpfungsketten, die den gesamten Lebenszyklus eines Produktes einschliessen – von der ersten Idee bis zum Recycling. Auch soll es möglich sein, individuelle Kundenwünsche in der Produktion besser realisieren zu können: Massgeschneiderte Produkte können nach individuellen Vorstellungen produziert werden, zu Kosten, die bislang nur in der Massenfertigung möglich waren.
Alles wird smart…
Industrie 4.0 ist thematisch kaum vom Internet der Dinge (Internet of Things (IoT)) zu trennen. Da, es für die Verzahnung in all den verschiedenen Produktionselemente Sensoren und Aktoren benötigt, die einem Gesamtsystem Zustände melden oder Aktionen ausführen können. Auf das Thema IoT möchte ich aber nächste Woche vertiefend eingehen. Zurück zu Industrie 4.0: Die Grundlage für eine digitale Produktion liegt in intelligenten (smarten), vernetzten Systemen, die miteinander kommunizieren können. Das Ziel ist es, eine autonome Produktion zu schaffen, bei der Menschen, Maschinen und Produkte selbstständig miteinander kommunizieren können. Daher sind die vorrangigen Aktionsfelder sogenannte Smart Factories, Smart Products, Smart Services und Smart Contracts. Sie alle nennt man Smart, da sie nicht nur passive Elemente darstellen, sondern als Einheit auch „Wissen“ in Form von gesammelten Daten und Handlungsanweisungen in sich tragen. Mit diesem Wissen können sie mit anderen Elementen eigenständig „kommunizieren“.
- Smart Factory bezeichnet die Vision einer Produktionsumgebung, in der sich Fertigungsanlagen und Logistiksysteme ohne menschliche Eingriffe weitgehend selbst organisieren. Technische Grundlage sind cyber-physische Systeme, welche mit Hilfe des Internets der Dinge miteinander kommunizieren.
- Smart Products sind Produkte mit eingebettetem proaktiven Wissen. Solche Smart-Products helfen Kunden, Designern und Arbeitern mit der stetig wachsenden Komplexität und Vielfalt moderner Produkte Schritt zu halten. Dazu fördern solche Produkte proaktives Wissen zur Kommunikation und Kooperation mit dem Menschen, anderen Produkten oder ihrer Umgebung.
- Eng verknüpft mit dem Smart Product ist der Smart Service. Er steht für die Kombination physischer und digitaler datenbasierter Dienstleistungen. Diese werden oft als Mehrwertangebot für Kunden erbracht, die sogenannte „intelligente Produkte“, nutzen. Smart Services basieren stets auf einer grossen Menge vorab gesammelter Daten, welche von unterschiedlichsten Smart Products stammen können.
- Smart Contracts sind Computerprotokolle, die Verträge abbilden oder überprüfen. Sie können die Verhandlung und Abwicklung eines Vertrags technisch unterstützen und somit automatisiert werden. Eine schriftliche Fixierung des Vertrages (auf Papier oder in einer Datei) wird damit unter Umständen überflüssig. Smart Contracts haben üblicherweise auch eine Benutzerschnittstelle und bilden die Logik vertraglicher Regelungen technisch ab.
Neben all diesen smarten Elementen gibt es aber noch weitere Begriffe, die sie im Rahmen von Industrie 4.0 kennen sollten:
Ein kleines Glossar zu Industrie 4.0
Das Internet der Dinge (Internet of Things; IoT) verfolgt, vereinfacht dargestellt, die Vision eines globalen Netzwerks, das es ermöglicht physische und virtuelle Elemente miteinander zu vernetzen. Gegenstände werden dabei Teil des Internets, können mit Informationen ausgestattet werden und werden so kommunikationsfähig.
Wie bereits an anderer Stelle ausgeführt, beschreibt Cloud-Computing den Ansatz, IT-Ressourcen über ein Rechnernetz zur Verfügung stellen zu können, ohne dass diese auf dem lokalen Rechner installiert sein müssen. Anstatt ein eigenes Rechenzentren zu betreiben, sind diese beim Cloud-Computing in Form eines dienstleistungsbasierten Geschäftsmodells über das Internet verfügbar.
Werden allerdings geringe Latenzzeiten erwartet oder Daten in Echtzeit zur Verfügung stehen müssen, hat Cloud-Computing allerding oft zu grosse Hürden. Mit Edge-Computing bezeichnet man daher die dezentrale Verarbeitung von IT-Ressourcen. Rechenleistung wird dabei an den Rand des Netzwerks, der sogenannten Edge verlegt.
Embedded Systems oder eingebettete Systeme sind Mikroprozessoren oder elektronische Rechner, die in einen technischen Kontext eingebunden sind. Mehr als 90 % aller produzierten Chips sind in derartige eingebettete Systeme integriert und sollen diese steuern, regeln oder überwachen. Sie stellen die Basis für IoT-Anwendungen dar.
Die Ausbildung von Cyber Physical Systems (CPS) basiert auf der Vernetzung von eingebetteten Systemen durch drahtgebundene oder drahtlose Kommunikationsnetze. CPS sind autonom, konfigurieren sich selbst und sind erweiterbar. Sie stellen relevante Daten und Dienste zur Verfügung und bilden die Basis für die digitale Fabrik.
Ein Manufacturing Execution System (MES) bezeichnet eine Ebene eines mehrschichtigen Fertigungsmanagementsystems. Das Produktionsleitsystem (wird häufig als deutsches Synonym verwendet) ist direkt an die verteilten Systeme der Prozessautomatisierung angebunden und lenkt, steuert oder kontrolliert die Produktion in Echtzeit.
Herausforderungen 4.0
Zusammenfassend kann man sagen, dass Industrie 4.0 nicht nur die technologische Weiterentwicklung bestehender Automatisierungskonzepte beinhaltet. Die oben gemachten Ausführungen zeigen vielmehr, dass der Begriff auf einer Reihe von Systemen und Modellen basiert. Zudem trägt der schnelle technologische Wandel dazu bei, dass die Komplexität rasant steigen wird. Um diese Herausforderungen zu meistern, bedarf es an Normen und Architekturmodellen. Eines dieser Modelle ist das sogenannte Referenzarchitekturmodell Industrie 4.0 (RAMI 4.0), das die Plattform Industrie 4.0 und ZVEI ins Leben gerufen wurde hat. Bei RAMI 4.0 handelt es sich um eine Landkarte, die ihnen dabei helfen soll, das Thema Industrie 4.0 besser strukturieren und in ihre digitale Strategie einfliessen lassen zu können. Das Modell führt alle Elemente und IT-relevante Komponenten in einem Schichten- und Lebenszyklusmodell zusammen. Eine gute Einführung finden sie hier: https://www.youtube.com/watch?v=fFlQ2o-5QLo